Hinterm Zaun                   Mainz, 26.06.02

Da drüben im Garten, man kann sie nicht sehen,

direkt hinterm Zaun viele Grashalme stehen.

Sie fühln sich beengt,

zusammengezwängt,

in die Ecke gedrängt.

Haben ihr Leben verschenkt?

 

Einer von jenen hat’s besonders schwer.

Einer von jenen findet’s gar nicht fair:

Dieser Grashalm wiegt sich dort hin und her.

Er steht schon so lang, er mag es nicht mehr.

 

Ein Grashalm muss kämpfen mit Sturm und Wind,

auch Regen und Schnee machen ihm zu schaffen.

Ein achtbeiniges Wesen sein Netz an ihm spinnt,

versucht seine Schnüre bis zum Zaun zu straffen.

 

Um seinen Fuß krabbeln Ameisen rum.

Der arme Grashalm steht nur starr und stumm

und blickt von oben auf sie herab.

Sagt: „Ich find’s nicht schön, dass ich keine Beine hab.

 

Hätt ich Beine, so lief ich hinaus aus dem Garten,

wollt sehen, ob’s mir hinter dem Zaun gefällt.

Dort – auf der anderen Seite der Welt.

Endlich Sonne zu spüren, könnt ich kaum erwarten.

 

So kühl es auch jetzt ist, hier im ewigen Schatten,

vor der Hitze geschützt durch hölzerne Latten.

Ein bisschen Abwechslung täte mir gut,

ein bisschen Sonne machte mir Mut.

Aber ich steh hier bloß gen Norden geneigt,

ein Holzbrett am Rücken, der nach Süden zeigt.

 

Wenn der Wind günstig weht, kann ich sie manchmal erblicken.

Doch die Momente sind kurz, die Sehnsucht ist groß.

So leb ich von Bildern, die meine Freunde mir schicken.

Die machen mir Hoffnung, erleichtern mein Los.

 

So leb ich hier tagein, tagaus

und denke mir, wie halt ich’s aus.

Ameisen hier, Spinnen dort;

die Sonne im Rücken, doch endlos weit fort.

Ihr Gesicht kenn ich nur von der Freunde Wort.

Bin auf ewig verdammt an diesem Platz.“

 

 Copyright by Andreas Seifert, 2007