Inseln

 
Ich sehe Menschen, die für Liebe blind geworden.
Ich sehe Menschen, die im Herzen traurig sind.
Einer, ein kleiner, spielt ahnungslos,
denkt nicht drüber nach, was kommt, wenn er groß.
Baut Burgen im Sand, sammelt Muscheln und dann,
- seine Insel treibt langsam und still übers Meer -
jagt er sein Abbild, solange er kann,
bis die Sonne samt Schatten vom Erdball verschwindet
und Dunkelheit jegliches Spiel unterbindet.
Ich höre Menschen, die für Liebe taub geworden.
Ich höre Menschen, die im Herzen einsam sind.
 
 
Ich weiß von Menschen, die von Liebe nichts gewusst.
Ich weiß von Menschen, die im Herzen Trauer tragen.
Wenn das Dunkel sich lüftet, macht Erkenntnis sich breit
und aus heiterem Spiel wird Ernst mit der Zeit.
Jetzt beginnt die Suche nach Hilfe und Halt,
- er versteht nun, wie leer seine Insel doch ist -
nach menschlicher Nähe, doch dämmert ihm bald:
So schön der Strand und die Sonne auch sind,
ist vorüber die Zeit, in der er noch Kind.
Ich kenne Menschen, die die Liebe stets verkannt.
Ich kenne Menschen, die im Herzen Leid verspüren.
 
 
Ich sprach mit Menschen, die aus Liebe stumm geworden.
Ich sprach mit Menschen, deren Herzen leiser schlagen.
Hin und wieder treiben gute Freunde heran.
Ab und zu legt Insel an Insel an,
um ein Stück des Weges gemeinsam zu treiben,
- wie winzig die Inseln und wie groß doch das Meer -
doch die Kraft des Schicksals verhindert ein Bleiben.
So verlassen sie sich zu gegebener Zeit
und jede Insel verliert sich in Einsamkeit.
Ich spüre Menschen, die für Liebe unempfänglich.
Ich spüre Menschen, deren Herz erkaltet ist.
 
 
Der Mensch braucht Menschen, die sich zur Liebe bekennen.            
Der Mensch braucht Menschen, die ihr Herz ihr eigen nennen.
Aus der Einsamkeit steigt unerwartet empor                                    
ein Begleiter, der länger als andre verweilt.
Zusammen gewinnen sie Sicherheit,                                        
- die Insel als Ort der Glückseligkeit -
bereisen gemeinsam den Strom der Zeit,                                 
sind vergangenen Zweifeln scheinbar enteilt                          
und leben dem Nachwuchs Geborgenheit vor.                   
Ich wünsch mir Menschen, die noch lieben wie ein Kind.
Ich wünsch mir Menschen, die im Herzen glücklich sind.         
 
 
Ich zeig dir Menschen, die die Liebe nicht mehr zeigen.
Ich zeig dir Menschen, deren Herz verschlossen ist.
Nun treiben sie, lassen sich treiben vielmehr,
und treiben den Nachwuchs still vor sich her.
Doch plötzlich verlässt sie die Antriebskraft.
- wenn die Brücke bricht, bricht auch die Seele entzwei -
Der Trieb, der sie einte, ist gänzlich erschlafft.
Ein Eiland treibt ab – und fortgeweht
wird das, welches eigene Wege geht.
Ich heile Menschen, die von Liebe schwer verwundet.
Ich heile Menschen, deren Herzen ganz vernarbt.
 
 
Ich helfe Menschen, denen Liebe nie geholfen.
Ich helfe Menschen, deren Herzen hilflos sind.
Wie im Tagtraum so treibt er, alleine, erneut
durch ein Nimmerland, das er seit jeher gescheut.
Gedankenlos denkt er an früher zurück,
- der Mensch, seine Insel, die Erde, und dann? -
erfolglos beschwört er vergangenes Glück.
Er fürchtet, dass Nähe bloß Wunschdenken bleibt?
Und jeder für sich durch die Dunkelheit treibt?
Ich stütze Menschen, die für Liebe längst zu schwach.
Ich stütze Menschen, deren Herzen kraftlos sind.
 
 
Auch wir sind Menschen, deren Liebe stark gewesen.
Auch wir sind Menschen, die im Herzen traurig sind.
Aus Nichts entsteht Leben. Doch das Leben ist tod.
Und wie kann der Tod wahres Leben entfachen?
- was wird aus der Insel, die herrenlos ist? -
Ist im Tod vielleicht endlich mit Einsamkeit Schluss?
Ist das ewige Leben die Zuflucht, der Hafen,
der Antrieb, die Hoffnung, die jeder Mensch braucht?
Ich schreibe Menschen, deren Liebe längst verstorben.
Schreibe ich Menschen, wie auch wir zwei Menschen sind?

 Copyright by Andreas Seifert, 2007